Brokdorfer Kuppel
„Weniger als nichts . . . weniger als nichts ... " - die Stimme von Beuys, seine Worte, als er 1976 in Bonn politisch scheiterte, in regelmäßigen Abständen wiederholt, bilden monoton den akustischen Hintergrund einer vielschichtig verschlüsselten, ja unheimlichen Ausstellung in der Galerie Arno Kohnen (Mutter-Ey-Straße 5). Helmut Schweizer (geboren 1946 in Stuttgart), der seit 1978 in Düsseldorf lebende, auch durch seine Installationen und Aktionen bekannte Photo- und Video-Künstler, stellt hier seine sieben Großphotos zum Thema „1986" vor: ein Inferno mit beängstigenden Dimensionen. Die bedeutenden und, wenn man sie durchschaut, außerordentlich packenden Arbeiten, in denen sich eine komplexe eigenwillige Aussage die entsprechende Technik als Medium suchte, sind eine Reaktion auf die Katastrophen des Jahres 1986 – auf Tschernobyl und den Challenger-Absturz –, zugleich aber auch eine ungewöhnliche Hommage an Beuys, der im Januar 86 starb. Zwischen tödlichem, abgründigem Schwarz und flammend verheerendem Rot-Orange entwickelt sich in Silhouetten, Farbverläufen, -flecken, -räumen und -formenschemen eine apokalyptische Bildwelt. Sie scheint sich vor unseren Augen als Ahnung, als Vision zu verdichten wie ein mythisches Geschehen. Und doch liegen diesen großen Photo-Bildern, deren Farben zu ungenauen Formen gerinnen, montierte Photos realer Situationen und Szenerien zugrunde. Helmut Schweizer, einstiger Schüler von Antes, Jochirns und Klemm an der Karlsruher Kunstakademie, bearbeitete diese -Schwarzweißphotos farbig. Ihre Tönungen entstanden zum Teil durch chemische Reaktionen und Prozesse. Schwarz wurde dabei blau- oder brauntonig. Danach färbte er die weißen Gründe ein mit aufgespritzten oder gemalten Eiweiß-Lasurfarben, Tusche und Beize. Aus dem davon aufgenommenen und vergrößerten Negativ entstand das Endresultat. Aus einem Photo des Reaktors von Brokdorf mit seiner Kuppel und zwei Türmen wurde ein düsteres, fast einer Moschee gleichendes Schattenbild, über dem rechts und links die Köpfe von Botticellis zwei Winden erscheinen. Hinter den vagen Silhouetten von Wackersdorf, von Absperrgittern, Stacheldraht und Demonstrationsszenen erscheint als überarbeitetes Photo Beuys mit den beiden mahnend erhobenen runden Becken in den Händen, das in seiner Aktion „Titus und Iphigenie" in Frankfurt aufgenommen wurde. Die Becken symbolisieren Kraftzentren, ähneln aber auch den Totenrädern, wie sie Brueghel malte. Iphigenie meint das idealistische, Gutes erspürende Prinzip. Titus steht für das Materialistische. Die Becken vergrößern sich zuweilen zu dunklen Bergen. Wie ein Schutzschild wirkt das, wie der dunkle Ton eines Gongs vor flammend durchglühtem Raum. Eine Goliath-Figur erscheint, die das Schwert in sich trägt wie bei Dürer, apokalyptisch das Pferd oder Brueghels Teufelchen, aber auch, fast wie ein schützendes Zeichen, der Hut. Eine weitere Gruppe von überarbeiteten Photos läßt - noch intakte - europäische Landschaften erkennen, die nach Leonardo, Michelangelo oder Piero della Francesca entstanden: Landschaften, die Menschen und Kulturen geprägt haben. Ein Stipendium für die Villa Massimo in Rom 1981 erschloß dem Künstler neue große Räume. Er begann große Photos zu übermalen. Dem römischen Barock, Bernini, widmete er mehrere Arbeiten (»Amore«, »Proserpina«), auch C.D. Friedrich (»Wälder- und Wasserserie«).
Text von Yvonne Friedrichs
Brokdorfer Kuppel
„Weniger als nichts . . . weniger als nichts ... " - die Stimme von Beuys, seine Worte, als er 1976 in Bonn politisch scheiterte, in regelmäßigen Abständen wiederholt, bilden monoton den akustischen Hintergrund einer vielschichtig verschlüsselten, ja unheimlichen Ausstellung in der Galerie Arno Kohnen (Mutter-Ey-Straße 5). Helmut Schweizer (geboren 1946 in Stuttgart), der seit 1978 in Düsseldorf lebende, auch durch seine Installationen und Aktionen bekannte Photo- und Video-Künstler, stellt hier seine sieben Großphotos zum Thema „1986" vor: ein Inferno mit beängstigenden Dimensionen. Die bedeutenden und, wenn man sie durchschaut, außerordentlich packenden Arbeiten, in denen sich eine komplexe eigenwillige Aussage die entsprechende Technik als Medium suchte, sind eine Reaktion auf die Katastrophen des Jahres 1986 – auf Tschernobyl und den Challenger-Absturz –, zugleich aber auch eine ungewöhnliche Hommage an Beuys, der im Januar 86 starb. Zwischen tödlichem, abgründigem Schwarz und flammend verheerendem Rot-Orange entwickelt sich in Silhouetten, Farbverläufen, -flecken, -räumen und -formenschemen eine apokalyptische Bildwelt. Sie scheint sich vor unseren Augen als Ahnung, als Vision zu verdichten wie ein mythisches Geschehen. Und doch liegen diesen großen Photo-Bildern, deren Farben zu ungenauen Formen gerinnen, montierte Photos realer Situationen und Szenerien zugrunde. Helmut Schweizer, einstiger Schüler von Antes, Jochirns und Klemm an der Karlsruher Kunstakademie, bearbeitete diese -Schwarzweißphotos farbig. Ihre Tönungen entstanden zum Teil durch chemische Reaktionen und Prozesse. Schwarz wurde dabei blau- oder brauntonig. Danach färbte er die weißen Gründe ein mit aufgespritzten oder gemalten Eiweiß-Lasurfarben, Tusche und Beize. Aus dem davon aufgenommenen und vergrößerten Negativ entstand das Endresultat. Aus einem Photo des Reaktors von Brokdorf mit seiner Kuppel und zwei Türmen wurde ein düsteres, fast einer Moschee gleichendes Schattenbild, über dem rechts und links die Köpfe von Botticellis zwei Winden erscheinen. Hinter den vagen Silhouetten von Wackersdorf, von Absperrgittern, Stacheldraht und Demonstrationsszenen erscheint als überarbeitetes Photo Beuys mit den beiden mahnend erhobenen runden Becken in den Händen, das in seiner Aktion „Titus und Iphigenie" in Frankfurt aufgenommen wurde. Die Becken symbolisieren Kraftzentren, ähneln aber auch den Totenrädern, wie sie Brueghel malte. Iphigenie meint das idealistische, Gutes erspürende Prinzip. Titus steht für das Materialistische. Die Becken vergrößern sich zuweilen zu dunklen Bergen. Wie ein Schutzschild wirkt das, wie der dunkle Ton eines Gongs vor flammend durchglühtem Raum. Eine Goliath-Figur erscheint, die das Schwert in sich trägt wie bei Dürer, apokalyptisch das Pferd oder Brueghels Teufelchen, aber auch, fast wie ein schützendes Zeichen, der Hut. Eine weitere Gruppe von überarbeiteten Photos läßt - noch intakte - europäische Landschaften erkennen, die nach Leonardo, Michelangelo oder Piero della Francesca entstanden: Landschaften, die Menschen und Kulturen geprägt haben. Ein Stipendium für die Villa Massimo in Rom 1981 erschloß dem Künstler neue große Räume. Er begann große Photos zu übermalen. Dem römischen Barock, Bernini, widmete er mehrere Arbeiten (»Amore«, »Proserpina«), auch C.D. Friedrich (»Wälder- und Wasserserie«).
Text von Yvonne Friedrichs