Helmut Schweizer hin und her gewendet
Die bestechendste Qualität von Helmut Schweizers Arbeiten ist ihre Anschaulichkeit. Ob er nun in der Natur einen Stein wegnimmt, Rinde abkratzt, eine Pflanze aus-, ein Blatt abreißt, ob er Tulpen auf seinem Körper zerreibt, in seinen Händen zerdrückt, auf seinem Gesicht zerquetscht, ob er von in bestimmten Zeiträumen unternommenen Spaziergängen Botanisches nach Hause bringt und es in Plastikfolie einschweißt, ob er, wie vor vielen Jahren schon, auf einfachste Umrißzeichnungen kleine Plastikbeutel mit farbigem Flüssigkeitsinhalt aufklebt - stets ist erstens die Aktion selbst leicht vorstellbar, nachvollziehbar, wiederholbar, stets ist zweitens die Präsentationsform der Arbeit so angelegt, daß in ihr die vorgängige Handlung überprüft werden kann. Kunst nicht als Illusion, sondern Kunst als Dokumentation. Als Beleg für vorgenommene Aktion wird sie in Fotoserien, in Dias, in Filmen und Videobändern erfaßt und vorgelegt. Dabei wird eine weitere Qualität sichtbar, der Dreierschritt der einfachsten Beweisführung: vorher, Aktion, nachher. Der Stein im Moos, die Hand, die nach dem Stein langt, Moos ohne Stein. Der Ast, die Hand, die nach ihm greift, der abgebrochene Ast. Die Blüte, die Hand, die sie ergreift, die Stelle ohne Blüte etc .. Wenn man lange Dia-Reihen von Helmut Schweizers Arbeiten ansieht, dann verliert sich rasch die Überraschung durch die jeweilige Aktion, weil es immer wieder die im Prinzip gleiche Handlung ist, die da in der Natur vorgenommen wird; weil es immer wieder die gleiche Manipulation ist, das immer gleiche Abbrechen, Abreißen, Wegnehmen, Abkratzen, Wegheben, Entfernen, Loslösen, Abstreifen. Und leise Widerstände machen sich beim Betrachter der Bildfolgen bemerkbar. Dieser kleine Ekel schlägt bei genügender Geduld rasch um in eine seltsame, schwer erklärbare Faszination, die allerdings aufgeladen bleibt von Reserve. Reserve gegen Schweizers kleine, unerhebliche und kaum wahrnehmbare Akte von Zerstörung in der Natur; seine demonstrativen, von keiner Emotion begleiteten, neutralen, unscheinbaren Veränderungen an der Natur. Sie kommen einem plötzlich brutal vor, sinnlos, unnötig, verwerflich, überflüssig. Obwohl als Veränderungen - aufs Ganze der Natur gesehen - kaum wahrnehmbar, doch in der Großaufnahme von Dia, Foto, Video-Tape ungeheuerlich. Was im Dreierschritt der exakten Demonstration außerdem noch sichtbar wird: Zeit. Zeit als neutrale Qualität, in der Veränderung sich vollzieht - vollzogen wird. Zeit auch in den aufgesammelten Pflanzen der Spaziergänge, Zeit in den in 100-km-Abständen auf der Fahrt von Spanien nach Karlsruhe vom Wegrand gepflückten Blumen, Zeit in den Veränderungsprozessen, die sich mit der Zeit an den eingeschweißten Pflanzen vollziehen, Welkung, Verfärbung, Bräunung, Austreten von Flüssigkeit. Der Rahmen, in dem Schweizer seine HandluRgen vollzieht, ist einerseits die Kunstlandschaft der letzten Jahre, andererseits die reale Landschaft der Natur, draußen, jenseits des Horizonts der großen Städte. Auf der Kunstszene sind derlei Aktionen inzwischen als legitim sanktioniert. Da nirgends verbindlich definiert ist, welcher Medien Kunst sich zu bedienen hat, da sie nirgends festgelegt ist auf Malerei, Zeichnung, Druck, ist eine Diskussion über diesen Punkt müßig. Weniger müßig ist vielleicht eine Diskussion des Materials, an dem Schweizer seine Operationen vornimmt: Natur. Da dämmert Romantik-Renaissance, Rückkehr zur Allmutter, Zivilisationsangst, Flucht aus der unübersichtlich gewordenen Welt gegenwärtigen Lebens in die Gegend, die als Lebensmittellieferant, Freizeitterrain, Erholungsgebiet darauf wartet, nicht nur für utilitaristische Zwecke, sondern auch für künstlerische entdeckt zu werden - Natur als Idyll. Von Idyll bei Schweizer keine Spur. Vielmehr wird gerade die sentimentale Aufladung der Natur als Fluchtbezirk, heiler Welt-Bereich, harmonisches Beieinander von ihm mit seinen Läsionen an ein paar Details in Frage gestellt; wird gerade ,der Hintergrund des Gefühlvollen der Boden, auf dem sein Abkratzen, Wegnehmen, Abbrechen, Knicken, Zerquetschen erst an die Nerven geht. Auch von weltschmerzlicher Attitüde keine Spur. Gerade die Sachlichkeit, mit der Schweizer nüchtern agiert, fotografiert, filmt, gerade die Genauigkeit, mit der er belegt und dokumentiert, entzieht solcher Vermutung jedes Argument - obwohl da vielleicht durch die Hintertür des pars pro toto eine Allusion auf die schändliche Zerstörung der Natur durch zivilisatorische Technik vermutet werden könnte. Wie alles Einfache, Unmittelbare, Direkte sind auch Schweizers Handlungen so einfach und plan nicht. Sie sind komplex und sammeln wie in einem Fokus Phänomene, Probleme, Fragen, die sich bequemen Antworten nicht bequemen. Sondern die Widerhaken haben, die Schweizers Arbeiten nicht nur im Gedächtnis wie Kletten hängen lassen, sondern die auch mit milder Beunruhigung immer wieder an sich erinnern. Da wird ihre feine Brutalität fast zur Sanftheit. Kurz: Ende offen. Schweizers Aktionen sind zu nehmen, wie sie sind. Anschaulich genug sind sie ja. So anschaulich und so verständlich wie ein auch kompliziertes Rezept in einem vernünftigen Kochbuch - bei einiger Intelligenz findet man sich ohne Schwierigkeiten zurecht.
Karlheinz Nowald
Helmut Schweizers Sequenzen bestehen in der Regel aus drei Fotos. Sie sind nicht horizontal, sondern vertikal angeordnet. Oben wird ein Detail aus der Natur gezeigt, in der Mitte ein zerstörender Eingriff, unten der Zustand des Details nach dem Eingriff. Die Kamera ist starr; sie nimmt innerhalb einer Folge stets den gleichen Ausschnitt auf. Helmut Schweizers Sequenzen sind Veranschaulichungen von Handlungen, für jedermann einsehbar, immer dem im Prinzip gleichen Ablauf folgend. Die Gewöhnung des Betrachters an dieses Prinzip mindert nicht den Widerstand, den die Aktion beim Betrachter hervorruft. Warum eigentlich dieser Widerstand? Uns ist ein ehrfürchtiges Verhältnis zur Natur anerzogen, das mit der Reduktion von Natur in unserer Umwelt zunimmt. Das Zertreten einer Blume gleicht der Zerstörung von Leben. Jedoch: die unablässige Verwandlung von Natur in Baugelände durch Bagger berührt uns kaum noch. Von diesem Widerspruch geht Helmut Schweizer aus. Nicht die kaum noch kontrollierbare Zerstörung von Landstrichen, von Gewässern und von Luft durch Industrie und Technik ist sein Thema, sondern das Zerquetschen einer Tulpe, die Verletzung einer Baumrinde. Diese Demonstration am Einzelfall geht an die Nerven, sie wirkt brutal. Liegt das daran, daß Helmut Schweizer ohne die bei uns angesichts von Natur eingefleischten Emotionen und Irrationalismen vorgeht? Daß er Natur nicht als Idylle nimmt? Daß er die Verletzung ganz nah vor Augen führt? Daß man diese Verletzung als eine stellvertretende, symbolische anzusehen genötigt wird? So einfach, nüchtern und überschaubar diese Sequenzen sind - sie stehen in komplexen Beziehungsrahmen. Deshalb verweisen sie auf uns zurück, stiften uns zur Reflexion über unser Verhältnis zur Natur und über unser Umweltverständnis an.
Helmut Schweizer hin und her gewendet
Die bestechendste Qualität von Helmut Schweizers Arbeiten ist ihre Anschaulichkeit. Ob er nun in der Natur einen Stein wegnimmt, Rinde abkratzt, eine Pflanze aus-, ein Blatt abreißt, ob er Tulpen auf seinem Körper zerreibt, in seinen Händen zerdrückt, auf seinem Gesicht zerquetscht, ob er von in bestimmten Zeiträumen unternommenen Spaziergängen Botanisches nach Hause bringt und es in Plastikfolie einschweißt, ob er, wie vor vielen Jahren schon, auf einfachste Umrißzeichnungen kleine Plastikbeutel mit farbigem Flüssigkeitsinhalt aufklebt - stets ist erstens die Aktion selbst leicht vorstellbar, nachvollziehbar, wiederholbar, stets ist zweitens die Präsentationsform der Arbeit so angelegt, daß in ihr die vorgängige Handlung überprüft werden kann. Kunst nicht als Illusion, sondern Kunst als Dokumentation. Als Beleg für vorgenommene Aktion wird sie in Fotoserien, in Dias, in Filmen und Videobändern erfaßt und vorgelegt. Dabei wird eine weitere Qualität sichtbar, der Dreierschritt der einfachsten Beweisführung: vorher, Aktion, nachher. Der Stein im Moos, die Hand, die nach dem Stein langt, Moos ohne Stein. Der Ast, die Hand, die nach ihm greift, der abgebrochene Ast. Die Blüte, die Hand, die sie ergreift, die Stelle ohne Blüte etc .. Wenn man lange Dia-Reihen von Helmut Schweizers Arbeiten ansieht, dann verliert sich rasch die Überraschung durch die jeweilige Aktion, weil es immer wieder die im Prinzip gleiche Handlung ist, die da in der Natur vorgenommen wird; weil es immer wieder die gleiche Manipulation ist, das immer gleiche Abbrechen, Abreißen, Wegnehmen, Abkratzen, Wegheben, Entfernen, Loslösen, Abstreifen. Und leise Widerstände machen sich beim Betrachter der Bildfolgen bemerkbar. Dieser kleine Ekel schlägt bei genügender Geduld rasch um in eine seltsame, schwer erklärbare Faszination, die allerdings aufgeladen bleibt von Reserve. Reserve gegen Schweizers kleine, unerhebliche und kaum wahrnehmbare Akte von Zerstörung in der Natur; seine demonstrativen, von keiner Emotion begleiteten, neutralen, unscheinbaren Veränderungen an der Natur. Sie kommen einem plötzlich brutal vor, sinnlos, unnötig, verwerflich, überflüssig. Obwohl als Veränderungen - aufs Ganze der Natur gesehen - kaum wahrnehmbar, doch in der Großaufnahme von Dia, Foto, Video-Tape ungeheuerlich. Was im Dreierschritt der exakten Demonstration außerdem noch sichtbar wird: Zeit. Zeit als neutrale Qualität, in der Veränderung sich vollzieht - vollzogen wird. Zeit auch in den aufgesammelten Pflanzen der Spaziergänge, Zeit in den in 100-km-Abständen auf der Fahrt von Spanien nach Karlsruhe vom Wegrand gepflückten Blumen, Zeit in den Veränderungsprozessen, die sich mit der Zeit an den eingeschweißten Pflanzen vollziehen, Welkung, Verfärbung, Bräunung, Austreten von Flüssigkeit. Der Rahmen, in dem Schweizer seine HandluRgen vollzieht, ist einerseits die Kunstlandschaft der letzten Jahre, andererseits die reale Landschaft der Natur, draußen, jenseits des Horizonts der großen Städte. Auf der Kunstszene sind derlei Aktionen inzwischen als legitim sanktioniert. Da nirgends verbindlich definiert ist, welcher Medien Kunst sich zu bedienen hat, da sie nirgends festgelegt ist auf Malerei, Zeichnung, Druck, ist eine Diskussion über diesen Punkt müßig. Weniger müßig ist vielleicht eine Diskussion des Materials, an dem Schweizer seine Operationen vornimmt: Natur. Da dämmert Romantik-Renaissance, Rückkehr zur Allmutter, Zivilisationsangst, Flucht aus der unübersichtlich gewordenen Welt gegenwärtigen Lebens in die Gegend, die als Lebensmittellieferant, Freizeitterrain, Erholungsgebiet darauf wartet, nicht nur für utilitaristische Zwecke, sondern auch für künstlerische entdeckt zu werden - Natur als Idyll. Von Idyll bei Schweizer keine Spur. Vielmehr wird gerade die sentimentale Aufladung der Natur als Fluchtbezirk, heiler Welt-Bereich, harmonisches Beieinander von ihm mit seinen Läsionen an ein paar Details in Frage gestellt; wird gerade ,der Hintergrund des Gefühlvollen der Boden, auf dem sein Abkratzen, Wegnehmen, Abbrechen, Knicken, Zerquetschen erst an die Nerven geht. Auch von weltschmerzlicher Attitüde keine Spur. Gerade die Sachlichkeit, mit der Schweizer nüchtern agiert, fotografiert, filmt, gerade die Genauigkeit, mit der er belegt und dokumentiert, entzieht solcher Vermutung jedes Argument - obwohl da vielleicht durch die Hintertür des pars pro toto eine Allusion auf die schändliche Zerstörung der Natur durch zivilisatorische Technik vermutet werden könnte. Wie alles Einfache, Unmittelbare, Direkte sind auch Schweizers Handlungen so einfach und plan nicht. Sie sind komplex und sammeln wie in einem Fokus Phänomene, Probleme, Fragen, die sich bequemen Antworten nicht bequemen. Sondern die Widerhaken haben, die Schweizers Arbeiten nicht nur im Gedächtnis wie Kletten hängen lassen, sondern die auch mit milder Beunruhigung immer wieder an sich erinnern. Da wird ihre feine Brutalität fast zur Sanftheit. Kurz: Ende offen. Schweizers Aktionen sind zu nehmen, wie sie sind. Anschaulich genug sind sie ja. So anschaulich und so verständlich wie ein auch kompliziertes Rezept in einem vernünftigen Kochbuch - bei einiger Intelligenz findet man sich ohne Schwierigkeiten zurecht.
Karlheinz Nowald
Helmut Schweizers Sequenzen bestehen in der Regel aus drei Fotos. Sie sind nicht horizontal, sondern vertikal angeordnet. Oben wird ein Detail aus der Natur gezeigt, in der Mitte ein zerstörender Eingriff, unten der Zustand des Details nach dem Eingriff. Die Kamera ist starr; sie nimmt innerhalb einer Folge stets den gleichen Ausschnitt auf. Helmut Schweizers Sequenzen sind Veranschaulichungen von Handlungen, für jedermann einsehbar, immer dem im Prinzip gleichen Ablauf folgend. Die Gewöhnung des Betrachters an dieses Prinzip mindert nicht den Widerstand, den die Aktion beim Betrachter hervorruft. Warum eigentlich dieser Widerstand? Uns ist ein ehrfürchtiges Verhältnis zur Natur anerzogen, das mit der Reduktion von Natur in unserer Umwelt zunimmt. Das Zertreten einer Blume gleicht der Zerstörung von Leben. Jedoch: die unablässige Verwandlung von Natur in Baugelände durch Bagger berührt uns kaum noch. Von diesem Widerspruch geht Helmut Schweizer aus. Nicht die kaum noch kontrollierbare Zerstörung von Landstrichen, von Gewässern und von Luft durch Industrie und Technik ist sein Thema, sondern das Zerquetschen einer Tulpe, die Verletzung einer Baumrinde. Diese Demonstration am Einzelfall geht an die Nerven, sie wirkt brutal. Liegt das daran, daß Helmut Schweizer ohne die bei uns angesichts von Natur eingefleischten Emotionen und Irrationalismen vorgeht? Daß er Natur nicht als Idylle nimmt? Daß er die Verletzung ganz nah vor Augen führt? Daß man diese Verletzung als eine stellvertretende, symbolische anzusehen genötigt wird? So einfach, nüchtern und überschaubar diese Sequenzen sind - sie stehen in komplexen Beziehungsrahmen. Deshalb verweisen sie auf uns zurück, stiften uns zur Reflexion über unser Verhältnis zur Natur und über unser Umweltverständnis an.