Helmut Schweizer
Galerie Kohnen, Düsseldorf
Als Bernini 1645-52 die Capella Cornaro in der römischen Kirche S. Maria della Vittoria schuf, setzte er ins Zentrum seiner überaus reichen Inszenierung die Figurengruppe der hl. Theresa von Avila mit dem Engel, der ihr Gewand öffnet, um sie mit einem goldenen Pfeil zu durchbohren. Mit geöffnetem Mund und gebrochenen Augen herabsinkend und doch schwebend schwinden ihr im Rausch göttlicher Liebe die Sinne.
Helmut Schweizer zeigte jetzt bis Mitte November in der Galerie Kohnen in Düsseldorf »Bilder für G. L. Bernini & F. Fellini« unter dem Obertitel »Roma«. Das größte dieser Serie von schwarz-weißen Großfotos, die durch die permanente Musik- und Geräusch-Collage zweier Videoinstallationen in räumliche Beziehung gesetzt wurden, stellt »sechs geflügelte Frauen« dar. Friesartig in einer Doppelreihe geordnet, sind die Engelsköpfe eingespannt in einen Rhythmus sexueller Ekstase, Gesichter deren Mimik der hl. Theresa gleicht, wiewohl ihre Lust ganz irdischen Antrieben entspringt. Schweizer hat 6 Frauengesichter aus pornografischen Magazinen fotografiert, vergrößert, mit gemalten Flügeln versehen, teilweise perspektivisch verzerrt, die Körpergrenzen mit der Umgebung verschliffen und wieder fotografiert. Durch diesen Prozess erscheint die falsche Gestik professioneller Sexualität fast abgestreift, nur vage noch vermag sich der Betrachter die ursprüngliche Situation vorzustellen.
Schweizer benutzt das Medium Fotografie, dessen gesellschaftliche Gebrauchsweise weitgehend als realistisch und objektiv gilt, um eine Inszenierung glaubhaft zu machen, in welcher professionelle Körpersprache zum Archetypus gerinnt, der die institutionellen und konstitutionellen Schranken zu Berninis Form des Illusionismus zu durchdringen imstande ist. Schweizers Arbeit ist daher in einer bestimmten Perspektivität dem Werk des Berninis strukturell homolog: Indem Bernini der sexuellen Ekstase einer Frau sakrale Weihe verlieh, machte er diesen Vorgang darstellungswürdig; Schweizer inszenierte die Apotheose pornografischer Posen als sinnhaltiges Bild.
Die homologe Struktur, die bei Schweizer den Archetypus sexueller Ekstase produziert, bedeutet aber für Bernini die Destruktion mystischer Elevation. Die steinernen Beter, die in den seitlichen Loggien der Cornaro-Kapelle die Erscheinung der Theresa steigern, werden im Durchgang durch Schweizers Arbeit zu Voyeuren. In dialektischer Umkehrung aber sind Sschweizers Pornomodelle von Berninischer Weihe imprägniert, die den ursprünglich angelegten Yoyeurismus gerade neutralisiert. In dieser Weise mit Fotografie operierend, was auch in den anderen ausgestellten Arbeiten zum Tragen kommt, die 1975 in dem Zyklus zu den Fresken der Nazarener im Casino Massimo in Rom begann: die Membran zwischen Mythen der Kunst und Lebenswirklichkeit zu finden, in der Geschichte und Gegenwart sich gegenseitig erhellen.
Text von Martin Hentschel
erschienen in der Zeitschrift »NKIE Nr.6 1984, neue Kunst in Europa«
Helmut Schweizer
Galerie Kohnen, Düsseldorf
Als Bernini 1645-52 die Capella Cornaro in der römischen Kirche S. Maria della Vittoria schuf, setzte er ins Zentrum seiner überaus reichen Inszenierung die Figurengruppe der hl. Theresa von Avila mit dem Engel, der ihr Gewand öffnet, um sie mit einem goldenen Pfeil zu durchbohren. Mit geöffnetem Mund und gebrochenen Augen herabsinkend und doch schwebend schwinden ihr im Rausch göttlicher Liebe die Sinne.
Helmut Schweizer zeigte jetzt bis Mitte November in der Galerie Kohnen in Düsseldorf »Bilder für G. L. Bernini & F. Fellini« unter dem Obertitel »Roma«. Das größte dieser Serie von schwarz-weißen Großfotos, die durch die permanente Musik- und Geräusch-Collage zweier Videoinstallationen in räumliche Beziehung gesetzt wurden, stellt »sechs geflügelte Frauen« dar. Friesartig in einer Doppelreihe geordnet, sind die Engelsköpfe eingespannt in einen Rhythmus sexueller Ekstase, Gesichter deren Mimik der hl. Theresa gleicht, wiewohl ihre Lust ganz irdischen Antrieben entspringt. Schweizer hat 6 Frauengesichter aus pornografischen Magazinen fotografiert, vergrößert, mit gemalten Flügeln versehen, teilweise perspektivisch verzerrt, die Körpergrenzen mit der Umgebung verschliffen und wieder fotografiert. Durch diesen Prozess erscheint die falsche Gestik professioneller Sexualität fast abgestreift, nur vage noch vermag sich der Betrachter die ursprüngliche Situation vorzustellen.
Schweizer benutzt das Medium Fotografie, dessen gesellschaftliche Gebrauchsweise weitgehend als realistisch und objektiv gilt, um eine Inszenierung glaubhaft zu machen, in welcher professionelle Körpersprache zum Archetypus gerinnt, der die institutionellen und konstitutionellen Schranken zu Berninis Form des Illusionismus zu durchdringen imstande ist. Schweizers Arbeit ist daher in einer bestimmten Perspektivität dem Werk des Berninis strukturell homolog: Indem Bernini der sexuellen Ekstase einer Frau sakrale Weihe verlieh, machte er diesen Vorgang darstellungswürdig; Schweizer inszenierte die Apotheose pornografischer Posen als sinnhaltiges Bild.
Die homologe Struktur, die bei Schweizer den Archetypus sexueller Ekstase produziert, bedeutet aber für Bernini die Destruktion mystischer Elevation. Die steinernen Beter, die in den seitlichen Loggien der Cornaro-Kapelle die Erscheinung der Theresa steigern, werden im Durchgang durch Schweizers Arbeit zu Voyeuren. In dialektischer Umkehrung aber sind Sschweizers Pornomodelle von Berninischer Weihe imprägniert, die den ursprünglich angelegten Yoyeurismus gerade neutralisiert. In dieser Weise mit Fotografie operierend, was auch in den anderen ausgestellten Arbeiten zum Tragen kommt, die 1975 in dem Zyklus zu den Fresken der Nazarener im Casino Massimo in Rom begann: die Membran zwischen Mythen der Kunst und Lebenswirklichkeit zu finden, in der Geschichte und Gegenwart sich gegenseitig erhellen.
Text von Martin Hentschel
erschienen in der Zeitschrift »NKIE Nr.6 1984, neue Kunst in Europa«